|
Briefe an meine Eltern sind grau unterlegt, Erinnerungen aus heutiger
Sicht in weiß |
Beelitz, 8.6.82
Bin gestern aus dem MED-Punkt entlassen worden und wollte Euch mitteilen,
daß wir
voraussichtlich bis 14.7. weg sind. Meine Adresse dort ist:
Soldat Thomas Gitzel
3562 Diesdorf
PF 88871/P
Ihr könnt mir also schreiben, Besuch ist nicht möglich.
Wir packen gerade alle unsere Säcke, da wir fast alles mitnehmen,
was wir haben. Die abgehenden Briefe werden übrigens dort gelesen. |
Diesdorf - das bedeutete für einige Wochen das Leben im Wald
unter einfachsten Bedingungen.
Leben in Zelten, ohne Ausgang, ohne Urlaub, Waschen mit kaltem Wasser.
Ich war Soldat beim Aufklärungsbataillon 1 (Beelitz) und im Juni
1982 fuhren wir das erste Mal nach Diesdorf. Eigentlich war ich nicht
als Funkaufklärer ausgebildet, da ich in den letzten Tagen der
Grundausbildung verletzt wurde und den Beginn der Ausbildung verpasste.
Eines Tages wurde ich zum Hauptfeldwebel (Spieß) der Funkaufklärungskompanie
befohlen. Ob ich Kassettenrecorder reparieren kann, fragte mich Oberfeldwebel
S. Als ich bejahte, sagte er mir, ich sollte meine Sachen packen,
am nächsten Tag geht es los. Abends bekamen wir noch eine Einweisung
in den Einsatz.
Wir fuhren in einer Kolonne, ich saß mit weiteren Soldaten zusammen
hinten auf einem LkW.
Im Morgengrauen erreichten wir Diesdorf. Es folgte die Übernahme
des Lagers von der vorherigen Einheit. Es gab ein sogenanntes Diensthabendes
System, eine Aufklärungseinheit hatte immer in Diesdorf
Dienst. Nun waren wir also dran.
Den ersten Tag verbrachte ich damit, der Nachrichtenwerkstatt mit
der Verlegung von
Stomleitungen zwischen den einzelnen Zelten zu helfen. Jedes Zelt
bekam eine Lampe und eine
Steckdose. Dies waren sogenannte Finow-Kupplungen, ein wettersicheres
System. |
Diesdorf, 13.6.82
Alles ist zum Teil recht behelfsmäßig, wir schlafen in
6-Mann-Zelten, das Wasser wird mit Autos rangefahren. Man ist viel
an der frischen Luft. Alles ist hier etwas lockerer als im Objekt.
Manchmal weiß man nicht, ob man sich so verhalten soll, wie
man es in der Grundausbildung gelernt hat, das fällt dann meist
auf. Zum Glück ist es zur Zeit nicht mehr so heiß, allerdings
müssen wir nachts heizen. |
Zum Waschen ging man zu einer Waschanlage, die aus einer sogenannten
Wasserkuh gespeist
wurde. Natürlich gab es nur kaltes Wasser. Manchmal füllten
wir das auch in die Blechschüsseln ab, erwärmten es auf
dem Ofen und duschten dann anschließend am Zelt.
Nachts mußte noch geheizt werden. Für das Nachlegen der
Kohle während der Nacht war die Wache zuständig.
In jedem Zelt waren 6 Soldaten in Doppelbetten untergebracht. Die
Zelte standen auf Betonplatten und waren mit einem Kanonenofen ausgestattet.
Jeder Soldat hatte auch einen Spint. In den ersten Tagen reparierte
ich Kassettenrecorder. |
Diesdorf, 14.6.82
Die Armee ist eben eine ganz andere Welt. Auch wenn man im 1. Diensthalbjahr
von den anderen Soldaten viel einstecken muß, das war bestimmt
schon immer so und wird sich auch nicht ändern.
Das sowas nicht gerade zur Festigung der Kampfkollektive beiträgt,
versteht sich von selbst. Im
Ernstfall soll ja jeder für den anderen einstehen, man soll sich
gegenseitig helfen. Das ist ein
Widerspruch... |
Da immer Soldaten unterschiedlicher Diensthalbjahre in einem Zelt
untergebracht waren, gab es auch hier - wie in der Kaserne - die üblichen
Spielchen. Ich erinnere mich daran, daß ich eines Abends für
die älteren Semester singen sollte, damit sie besser einschlafen
können. Aber vermutlich sang ich so laut, daß das
der Kompaniechef in seinem Zelt hörte. Am nächsten Tag wurde
ich in ein anderes Zelt verlegt und bekam eine neue Aufgabe. |
Zu Trinken brauche ich nichts, da wir hier was
zu kaufen kriegen. Uberhaupt ist die kulturelle Betreuung ganz gut.
Wir haben ein Kinozelt, ein Fernsehzelt, Tischtennisplatte. Heute
waren wir Duschen in einer benachbarten Kompanie. |
Eigentlich jeden Tag gab es Kino in einem großen Kinozelt.
Der Politoffizier holte die Filme vermutlich aus einer benachbarten
Grenzeinheit. Das waren nicht nur Propagandafilme. In der Mitte des
Filmes gab es immer eine Pause, da es nur einen Projektor gab und
die Rolle immer gewechselt werden mußte.
Alle offiziell ausgehenden Briefe - und als Soldat im ersten Diensthalbjahr
hatte ich kaum Alternativen - wurden vom Politoffizier gelesen. Einmal
sagte er mir, ich solle nicht soviel über das Lager schreiben.
Dafür revanchiere ich mich hiermit, Oberleutnant Dö.....
Es gab auch einige Besonderheiten im Lager gegenüber dem Leben
in der Kaserne: So war zum Beispiel die Grußpflicht aufgehoben,
es gab keinen Ausgang, keinen Urlaub, keinen Besuch, keinen Frühsport.
|
Diesdorf, 25.6.82
Ausgang gibt es nicht, jedenfalls nicht für uns. Der Ort Diesdorf
ist ca. 1,5 km entfernt....
Es ist jetzt 19.40 Uhr und die meisten sitzen im Fernsehzelt (Fußballfans).
Habe gerade einige Tage anstrengender Schichtarbeit hinter mir. Immer
8 Stunden Wache, 8 Stunden Ruhe u.s.w. Tag und Nacht.
Ganz schön belastend. Aber während man Wache steht, hat
man genug Zeit, über vieles nachzudenken. Die Kumpels hier behandeln
mich auch schon etwas korrekter. Wenn wir wieder ins Objekt kommen,
komme ich ja wieder mit den alten Kumpels aufs Zimmer, wenn wir nicht
nochmal umquartiert werden. Aber dieses Jahr fahren wir nochmal hier
her (wahrscheinlich). Sicher wird dann aber die Zeltordnung anders
sein. Was Papa da schreibt, daß man die Zähne zeigen soll,
manchmal, kann vielleicht stimmen, aber erstens bin ich nicht der
Schläger-Typ und zweitens zieht man sowieso den Kürzeren,
weil man eben als Glatter nichts zu melden hat. |
Später wurde ich zur Wache einem Funktechnischen Aufklärer
zugeteilt. Es kann aber auch ein Peilfahrzeug gewesen sein. Das Fahrzeug
stand etwa 500 m vom Lager entfernt auf einer Wiese. Ich hatte die
Wache im 8-Stunden-Rythmus und war für die Versorgung des Stromaggregates
zuständig, das sich etwa 50 m vom Fahrzeug in einem kleinen Wäldchen
befand. Da wir manchmal Langeweile hatten, bastelten wir aus Elektozündern
kleine Bömbchen, die wir auf dem Weg, auf dem sich unsere Ablösung
nähern mußte vergruben und mit Feldkabel mit einer Stromversorgung
im Fahrzeug verbunden. Schließlich waren wir auch jung. Dieser
Streich gegenüber den Kameraden hatte aber ein Nachspiel. Die
Grenzaufklärer hatten wohl etwas von den Detonationen mitbekommen
und so gab es eine Untersuchung, bei der ich auch befragt wurde. Seltsamerweise
bekam ich anschließend eine Belobigung für die Teilnahme
am Lager. |
Diesdorf, 7.7.82
Nun hat sich in der wahrscheinlich letzten Woche unseres Aufenthaltes
doch noch eine Veränderung ergeben. Ich bin in den Küchenbereich
umgezogen und mache ca. noch für eine Woche Ordonanz.
Dabei stelle ich die Verpflegung u.ä. für die Vorgesetzten
bereit.
Jetzt, zwischen Mittag und Abendbrot habe ich ein paar Stunden Zeit. |
Als Ordonanz hatte ich den Offizieren das Essen zu bringen und
die Kaffee-Küche im Offiziersspeisezelt zu betreiben. Das war
ein langer Tag. Nur zwischen Mittagessen und Abendessen gab es eine
größere Pause. Ansonsten kam eigentlich immer jemand
zum Kaffeetrinken. Am Ende meiner Ordonanztätigkeit hatte ich
einen für Soldatenverhältnisse beträchtlichen Überschuss
an finanziellen Mitteln erwirtschaftet. Einmal sollte ich dem diensthabenden
Offizier in der oberen Etage des Turmes einen Kaffee bringen. Er
lud mich auf eine Partie Schach ein. Dabei fiel mir auf, daß
die ganze Zeit NDR im Radio lief. Später erfuhr ich, daß
es wegen der Truppenbewegungen war, die über die Verkehrsmeldungen
bekannt gegeben wurden. Das floß also in die Aufklärung
mit ein. Eine Etage tiefer saßen ca. 5 Funkaufklärer
pro Schicht, die mit einem Funkempfänger die Funksprüche
jenseits der Grenze mithörten. Ich erinnere mich, daß
Sonderurlaub versprochen wurde, wenn jemand den Beginn eines Manövers
mitbekam. Aber da gab es auch noch eine schöne Anekdote, die
immer wieder erzählt wurde: Die gegnerische Seite
gratulierte eines Tages unserem Kompaniechef über Funk zum
Geburtstag. Mit Namen und Altersangabe. Die wußten also nicht
nur, daß wir da waren, sondern auch, wer wir waren.
Im September fuhren wir erneut zum Einsatz, diesmal war ich zuerst
für 3 oder 4 Wochen auf einer Peilflanke, das sind Außenstationen
eines Zentrums, die mit diesem in Verbindung stehen, Funkquellen
anpeilen und so den Standort aufklären. Hier waren wir zu Fünft:
1 Kommandant, 2 Funkpeiler und 2 Wachen pro Station in einem Zelt
mitten im Wald mit einem Peilfahrzeug, einer kleinen Wasserkuh und
einem selbstgebrabenen Klo mit Donnerbalken. Jeden Tag wurden wir
mit Essen, dem täglichen Bedarf und Post versorgt.
Anschließend fuhren wir wieder nach Diesdorf und ich bekam
einen Job in der Nachrichenzentrale.
|
Diesdorf, 2.10.82
Diesen Brief werde ich wieder einem Kraftfahrer mitgeben. Meine Nachtschicht
in der Vermittlung hat gerade begonnen, es ist 22.45 Uhr. Nachts ist
immer nicht viel los, da kann man sich schon mal aufs Ohr legen. Im
Prinzip habe ich also einen ruhigen Posten. Wenn mir auch schon einige
Hauptmänner den Hals umdrehen wollten, weil ich sie angeblich
getrennt habe. Aber durch die Leitung kommen sie nunmal nicht durch. |
Ich hatte Dienst in der Nachrichtenzentrale im Keller des Turmes.
Dort war meine Aufgabe die Herstellung von Verbindungen innerhalb
des Lagers und nach außerhalb. Alle Einheiten hatten Tarnnamen
und die Offiziere hatten Nummern. Es wurde im Schichtdienst gearbeitet.
Während des Dienstes hörte ich Radio. Ich hatte so ein winziges
Radio, was natürlich streng verboten war.
Natürlich hörte ich auch den Nachrichtenaustausch mit. So
erinnere ich mich an ein Gespräch unseres Kompaniechefs mit dem
Stasi-Beauftragten unserer Heimat-Einheit, in der es um die Teilnahme
eines Soldaten an der Ehrenparade der NVA am 7. Oktober 1982 in der
Karl-Marx-Allee in Berlin ging. Da er familiäre Probleme hatte,
wurde er von der Teilnahme ausgeschlossen.
|
Soviele Süßigkeiten hättet Ihr garnicht schicken
brauchen, ich bin ja von den 3 Wochen Flanke noch so fett. Dort
bekam man das Essen, meist sogar noch etwas mehr, gebracht. Bewegen
bzw. Laufen darf man nicht (Grenzgebiet, 3,4 km bis Grenze), nun
da wird man automatisch gemästet. Hier erfahre ich erst so
langsam, was es eigentlich bedeutet, hier sein zu dürfen:
Alle, die hier draußen sind, sind vom Ministerium für
Staatssicherheit als 100%ig bestätigt. Unser Zugführer
meinte, in 10 Jahren, wenn man alles schon wieder vergessen hat,
könne man vielleicht mal eine Auslandsreise ins kapitalistische
Ausland beantragen. (in 10 Jahren, hi hi, Anm.)
Für die guten Leistungen beim Gefechtseinsatz bin ich mit einem
Ausgang außer der Reihe belobigt worden. Den habe
ich aber noch nicht angetreten. Ich hätte aber lieber einen
Tag Sonderurlaub gehabt, aber das ist schon eine Stufe höher.
Urlaub wird es wohl während des Einsatzes hier nicht geben,
also erst im November.
Habe ja ganz vergessen, daß ich noch 2 Karten von Diesdorf
erstanden habe. Da könnt Ihr mal sehen, wie es hier aussieht.
Überwiegend gibt es Landwirtschaft (Schweinemast), ferner eine
Süßmost- und Weinkelterei, so daß wir hier schönen
Apfel-, Kirsch- und Johannisbeermost bekommen. Es gibt auch Obstweine
(soganannter Bretti, von Bretterknaller
abgeleitet), die wir hier allerdings nicht kriegen. Eine Flasche
kostet hier aber nur 2,75 M oder so (Bretti).
Diesdorf, 9.10.82
Vorhin habe ich gerade für den Leiter der Funkwache (eine Etage
höher) einen Kaffee gekocht. Die Jungs da oben haben wirklich
manchmal Streß. Da habe ich wirklich Glück gehabt mit
meinem Posten. Von einigen werde ich bezeichnenderweise Der
Urlauber genannt, weil ich eben so einen Keimposten habe und
immer mit einem großen Beutel (Fressalien, Cola, Bücher,
Kaffee...) zum Dienst gehe. Übrigens sind wir jetzt 3 Mann
in der Zentrale, also immer 8 Stunden Dienst, 16 Stunden frei u.s.w.
Diesdorf, 9.10.82
Habe gerade meine vorletzte Nachtschicht angetreten, anschließend
habe ich dann eine Woche nachmittags Dienst (14.00-22.00). Dabei
ist der Nachteil, daß man das Fernsehprogramm erst ab 22 Uhr
sehen kann.
Morgen ist wieder Sonntag, da bekommen wir wieder 1 Bier pro Nase
für 1,- M bzw. Luxator für 1,30 M.
|
Jeden Sonntag gab es pro Mann eine Flasche Bier. Ich erinnere mich
daran, daß einige Kameraden mit ihrem Bier einen regelrechten
Handel betrieben. Mir reichte allerdings diese eine Flasche pro Woche,
um in einen tiefen Nachmittagschlaf zu fallen... |
Diesdorf, 20.10.82
Heute war ein besonderer Tag. Die Es (Entlassungskandidaten,
3. Diensthalbjahr Anm.) haben ins Objekt verlegt, das
heißt die sind wir für immer los. Jetzt sind wir schon
inoffiziell 2. Diensthalbjahr.
Auch das zukünftige 3. Diensthalbjahr erkennt uns schon als Vize
an, obwohl die offiziellen Maßnahmen dazu noch nicht
waren. Es gibt also keinen Streß mehr, jeder von uns kennt seine
wenigen Aufgaben, die er zu erledigen hat. Da jetzt also weniger Leute
hier sind, sind wir heute umgezogen. Unser Zelt wurde zum Fernsehzelt
umfunktioniert und ich bin jetzt in einem anderen Zelt mit 3 Jung-Es
und noch 2 Vizen. Wir teilen uns den Zentralen-Dienst
mit 3 Mann. Ich habe erstmal die Nachtschicht übernommen = sehr
ruhig, kaum Gespräche.
Ich sprach vorhin von offiziellen Maßnahmen, durch
die ein Schnieps Vize wird: Da ist zum einen
das sogenannte Aal-Duschen, bei der der Glatte
vom Aalschleim befreit wird. Das geschieht meist mit einem
kalten Wasserstrahl. Weiterhin wird dann der Jung-Vize
zum Vize geschlagen. Damit ist er dann Vize
und ist berechtigt, die Spange zu tragen. Diese Plaste-Vorrichtung
am Schlüsselbund, die zunächst noch leer bleibt, beherbergt
später das Bandmaß.
Ich habe von meinen Es eine Spange bekommen. Sie liegt in Beelitz
im Schrank. Werde Euch zu gegebener Zeit über den Abschluß
dieser Maßnahmen berichten...
Vorhin hatte ich noch was vergessen: Bei 333 Tagen wird man Goldstaubedelvize
(So ein Quatsch, was?!) |
Ende Oktober fuhr ich mit einem Major im Kübelwagen zurück
nach Beelitz und bekam eine neue Aufgabe beim Bau eines elektronischen
Gerätes für die "Messe der Meister von Morgen".
Etwa ein Jahr später nahm ich wieder an diesem DHS teil, aber
diesmal war ich nicht im Lager stationiert, sondern hatte mit meiner
Einheit die Aufgabe, die Flanken der Funkpeiler mit Essen und allem
möglichen Zeug zu versorgen, was für das Leben im Wald
gebraucht wurde. Außerdem waren wir für die Einsatzbereitschaft
der Nachrichtenverbindungen zwischen den Peilern und dem Zentrum
verantwortlich. Dieser Einsatz war insofern besonders, da wir mit
den gegnerischen Kräften mitwanderten, von der
Altmark bis zum Eichsfeld.
Letzte Aktualisierung: 12. Oktober 2002 (genau 20 Jahre nach Diesdorf...)
|
|
 |